3. Spieltag JBLNO 2007/2008: Zitadelle Spandau - SV Gryps: 2½ : 3½

Partien zum Nachspielen und zum Downloaden

Grauenvoll

SC Zitadelle SpandauSV Gryps2½:3½
Schirrmacher, CarstenVölsgen, Georg1-0
Fuchs, RaimondRomoth, Lars½-½
Guist, AnasHollatz, Michael0-1
Perestjuk, MarkoRogasch, Miriam1-0
Maslov, MaximTsoumanis, Konstantinos0-1
Paul, FabianWeinert, Martin0-1

Manche Berichte - ganz besonders von einem Schreiber namens C.S. - haben eine Einleitung, die länger ist als der Rest. Dagegen ist dieser Bericht ein Novum, denn die Überschrift sagt schon alles.

Vielleicht sollten wir die nächsten Kämpfe alle bloß noch zu viert bestreiten, denn vier Leute bauen deutlich weniger Mist als sechs. Aber vielleicht sollte ich mich mit diesem fatalistischen Gelaber auch mal zurücknehmen, denn sauer bin ich eigentlich bloß über mich selber. Ich war doch tatsächlich der Meinung, die ganze Zeit lang besser gestanden zu haben. In Wirklichkeit hatte ich die Stellung schon nach wenigen Zügen gekonnt in den Sand gesetzt. Danach war ich immer der Meinung, einen klaren Plan zu haben, was beim Nachspielen der Partie aber ganz anders aussieht. Doch tatsächlich, meine Pläne waren komplex und vielschichtig: Den linken Arn zu heben, wahllos irgendeine Fiur anfassen, diese im Rahmen der Regeln zu versetzen und nachher noch die Uhr zu drücken, das ist schon kompliziert. Und darauf folgt ja gleich der nächste Plan: Den Zug, den man gerade gemacht hat, erfassen, ungläubig den Kopf schütteln darüber, dass man die Antwort wohl übersehen hat, einen Kugelschreber nehmen, hinten draudrücken, damit die Mine vorne rauskommt, und dann den Zug aufschreiben.

Komplexer war das Geschehen dann schon bei Marko. Der schaffte es nämlich tatsächlich, sich neben meinen unglaublich komplizierten Reflektionen auch noch Gedanken über die Stellung zu machen. Das zahlte sich auch aus, denn bereits nach einer Stunde hatte er einen Läufer gewonnen. Auch danach nahm das Niveau seines Spiels nicht ab, sodass am vierten Brett schnell ein Punkt eingefahren wurde.

Noch schneller als Markos Gegnerin war aber Maxim, seine Stellung zu versauen. Er stellte auf kuriose Weise in der Eröffnung eine Figur ein: Der Gegner nahm auf d5 einen Springer wag, der dreimal gedeckt war, doch Maxim fasste seinen Springer auf b8 an, in der Absicht, mit diesem auf d5 wiederzunehmen. Dass das nicht den Regeln entspricht, stand in meinem ersten Schachbuch auf einer der ersten Seiten. Die einschlägige Regel stand dann auch ein paar Seiten weiter: berührt-geführt. Und so musste Maxim seinen Springer von b8 ziehen und der weiße Gaul auf d5 brachte sich in Sicherheit. Der Gegner ließ dann auch nichts mehr anbrennen und sammelte später mit einem Abzug-Zwischenzug-Motiv eine weitere Figur ein: 1:1.

Wenig später war auch Fabian am sechsten Brett fertig. Bei seinem ersten Einsatz in dieser Klasse konnte er nicht alles umsetzen, was ich ihm erzählt hatte, sodass auch dort bald der Punkt nach Greifswald ging. Auch hier machte der Gegner keinen großen Fehler, was zu einem sicheren Sieg reichte.

Nun kämpften also noch sechs Spieler verbissen um die Punkte, beim Stand von 1:2. Das war zum einen Anas, der in der Eröffnung viel Zeit und seine Stellung in den Wind schoss, dann aber mit einer - offenbar lange im Voraus geplanten - "Amokaktion" (Anas) den Gegner überraschen und seinerseits Vorteil erreichen konnte. Warum er dann aber den Turm nicht wegnahm sondern sich mit einem Mehrbauern begnügte, weiß niemand. Er hatte Angst, seine Dame könnte auf Abwege geraten und gefangen werden. Mal ganz davon abgesehen, dass dem nicht so ist, wäre das kein Problem gewesen, denn er hätte mindestens zwei Türma und zwei Bauern dafür bekommen. Mit wenig Zeit, einer Dame auf Abwegen und nur einem Mehrbauern konnte Anas die Stellung dann nicht mehr halten und verlor eine Qualität. Er mühte sich noch eine Weile, doch auch hier führte der Gegner den technischen Teil sicher zum Ende. Kurz bevor hier entgültig die Klappe gefallen war, einigte sich Raimond mit sinem Gegner auf ein Remis. Das lag aber nicht daran, dass die Stellung ausgeglichen war, sondern daran, dass der Gegner auf Gewinn stand, im Mannschaftssinne jedochden dreieinhalbten Punkt sichern wollte. Da Raimond keine realistischen Gewinnchancen mehr hatte, konnte er nicht anders, als dieses Angebot annehmen. Und als der Kampf entschieden war, ging er bei mir erst richtig los.

Kurz vor der Zeitkontrolle spielte nur noch der Berichterstatter, während der Rest der Mannschaft sich so langsam verabschiedete. In der Zeitnot versemmelte ich eine ausgeglichene Stellung gekonnt, indem ich zwei Bauern einstellte und einer Matt-Fata-Morgana nachjagte. Als dann der 40. Zug geschafft war, betrachtete ich das Dilemma und brauchte 20 Minuten, um mich von den Mattplänen wieder zu verabschieden und erstmal einen Bauern zurückzuholen. Die Rechentiefe war bei mir sowieso auf einen Halbzug gesunken, ich hatte das Gefühl, dass das bei meinem Gegner auch der Fall war. Nun kann ich nicht in sein Hirn schauen, aber zumindest fand er lange die besten Züge, während ich am Brett noch meinte, dass seine Züge Müll gewesen wären. Er schaffte es also, seinen Freibauern zu verwandeln und gab dafür seinen Turm, sodass er mit einer Dame gegen zwei Springer spielen konnte. Zum Glück hatte er auch keine Zeit mehr, sodass sich ein sinnloses Gehacke anbahnte. Dabei verschwand die Dame auf Grund einer Springergabel und ich hatte plötzlich zwei Figuren mehr. Da meine Bedenkzeit mittlerweile aber nicht mehr in Minuten, sonern nur noch Sekunden zu messen war, nahm ich mir vor, erstmal die gegnerischen Bauern abzuholzen. Das war dann aber nicht mehr nötig, denn mein Gegner zog seinen König ins Schach, was nach den Regeln des Spiels eine Zeitgutschrift nach sich zieht. Hätte ich zu diesem Zeitpunkt nicht völlig benebelt vor dem Brett dahinvegetiert, ich würde mich wohl an eine Geschichte mit einem einarmigen Banditen erinnert fühlen. (Chessy Nr. 49)

Doch der einarmige Bandit, der sich damals Schiedsrichter schimpfte, war diesmal ausgetauscht durch den gegnerischen Mannschaftsleiter, der schnell und kompetent entschied, mir zwei Minuten dazuzugeben. Mit zwei Minuten gewinnt nun wirklich jeder die Stellung, sodass mein Gegner nach ein paar weiteren Zügen aufgab. Er nahm es auch sehr sportlich, was ihn ohne Zweifel auszeichnet. Seine Mannschaft hat ja auch völlig verdient mit 3,5:2,5 gewonnen.

Abseits der Brettes spielen sich ja sowieso immer die schönsten Geschichten ab. Und so war es diesmal besonders schön, dass Lemmi mit seiner Trainigsgruppe dem Event beiwohnte. Die Jungs, die er dabeihatte, sind vielleicht auch irgendwann einmal soweit, in die Fußstapfen unserer grandiosen Mannschaft zu treten...

Wie man sieht, wäre auch eine 1:5-Niederlage im Bereich des Möglichen und Verdienten gewesen, grauenvoll eben. Uns bleibt die Hoffnung, in der nächsten Zeit mal wieder zu siegen. Der letzte JBl-Sieg unseres Vereins ist nämlich schon über ein halbes Jahr her. Am 31.3.2008 schlugen wir den USV Halle, die sind auch nicht mehr dabei.

Das nächste potentielle Opfer ist am 10.1.2009 der USV Potsdam. Auswärts. Vielleicht bringt uns das neue Jahr mehr Glück. Oder der eine oder andere wünscht sich ein Schachbuch zu Weihnachten, was er bis zum 10.1. durchgearbeitet hat. Eher unwahrscheinlich...

Carsten Schirrmacher