Vier aus vier und trotzdem Zweiter - mal ohne Fußball

Nun ja, es war der erste Samstag des Jahres 2008 - Mitten in der Schulferien und was nicht alles. Auch kein gutes Wetter - alles in allem also verständlich, dass sich lediglich fünf Mannschaften um den Sieg in der zugegebenermaßen etwas merkwürdigen Disziplin "Chess 960" stritten. Wobei mindestens eine Mannschaft von vornherein keine entsprechenden Ambitionen hatte - unsere Zweite. Wann gab es das schon mal, ein berlinweites Mannschaftsturnier und zwei Fünftel der Teilnehmer von der Zitadelle? - Die Antwort ist einfach: noch nie.

Um mal ein paar statistische Spielchen anzustellen: In der BMM im Normalschach spielen 178 Mannschaften. Um die oben genannte Quote zu erreichen, müssten also 116 Zitadellen-Mannschaften hinzukommen.

Jetzt könnte man noch eine Weile Rumschwafeln und unsere großartige Beteiligung beweihräuchern, aber der Leser, so es ihn denn überhaupt gibt, will wissen, was passiert ist.

Morgens ging es los. Das ist an sich noch nichts Ungewöhnliches. Doch bevor die erste abartige Grundstellung aufgebaut wurde, gab es Diskussionen. Und zwar, ob man nicht vielleicht auf eine Doppelrunde umsatteln sollte. Dazu kam es aber nicht. Wenn man zwei Fünftel der teilnehmer stellt, aht man eine gewaltige Macht, wenn es um Modus-Fragen geht!

Irgendwann begann es dann endlich. Und es kam, wie es kommen musste. Die erste Mannschaft hatte spielfrei, die zweite Mannschaft durfte sich mit dem SC Kreuzberg messen. Die waren immerhin mit zwei "Zweivierern", dem Vorsitzenden Norbert Sprotte und Albert Jürgen Gremm, der - positiv gesagt - ebenfalls durch Kreativität auffällt angereist.

Die stellte es auch gleich in der ersten Runde unter Beweis, als es gegen Anas eine Figur weniger hatte und auf Zeitüberschreitung reklamierte, als Anas noch 12 Sekunden hatte. Das ist an sich kein Problem, da mit einem Aufschlag von 5 Sekunden pro Zug gespielt wurde. Jedoch brachte Anas diese etwas seltsame Reklamation derart aus dem Tritt, dass er begann, alles einzustellen, und mit Mühe noch ein Remis erreichte.

Das war aber sowieso egal, denn es stand schon null-zu-drei. An den ersten Brettern hatten hatten Lawi und Winni keine Chance und am dritten Brett ließ Oli sich in einer unklaren Position austricksen. Der einzige, der ohne Punktverlust blieb, war Kötzi, der hatte nämlich ausgesetzt.

Dann endlich, nach mehr als einer Stunde Wartezeit, durften wir von der Ersten ran. Gegen die Zweite. Wir spielten voll (Micha, Matthias, Patrick und ich), in der Zweiten musste diesmal Oli aussetzen.

Ich spielte also gegen Anas, und es kam bereits nach wenigen Zügen zu einer halbwegs normalen Stellung. Ob das ein gutes oder schlechtes Zeichen ist, weiß ich nicht. An Brett 3 überfuhr zumindest Patrick Lawi mit einem "Gambit" - nicht schlecht, sich in wenigen Minuten aus einer Stellung heraus, die man noch nie gesehen hat, ein Bauernopfer auszudenken!

irgendwann konnte ich dann einen Bauern mitnehmen und ungefährdet gewinnen, doch was sich an den vorderen Brettern abspielte, war mir völlig schleierhaft. Micha hatte eine Qualität weniger und Matthias verwaltete eine grauenvolle Endspielstellung. Micha musste sich Winfried geschlagen geben (übrigens das einzige mal in dem Turnier!) und Matthias erreichte nur mit viel Glück dank Kötzis Zeitnot ein Dauerschach.

Nach dem holprigen Zweieinhalb-Minimalsieg-Auftakt gegen die vermeintlich schwächste Mannschaft kam es dann zu Showdown. Kreuzberg stellte sich uns in den Weg. Ich hatte am letzten brett schnell eine schreckliche Stellung, Patricks Stellung schwankte immer um den Ausgleich und von vorne kenne ich nur die Ergebnisse. Micha hatte gegen Atila Figura gewonnen (WIE?!?) und Matthias stand riesig gegen den zweiten Kreuzberger IM, Markus Dyballa. nachdem meinem Gegner dann ein Qualitätsopfer danebenging, sprich, er nach einem Zwischenzug der ganze Turm weg war, konnte Matthias seelenruhig ein Dauerschach bieten. Ich hatte mit noch kräftig einen abgebrochen, irgendwann dann aber doch die Pattgespenster vertrieben und den entscheidenden Punkt geholt. Da war es dann nicht mehr schlimm, dass Patrick "einschlief" und in ausgeglichener Stellung die Zeit überschritt.

Die Zweite hatte in dieser Runde ihren einzigen Mannschaftspunkt gegen Rehberge geholt. Ein Achtungserfolg, nachdem sie gegen uns kurz davor waren. Die Punkte holten Oli und Kötzi, während diesmal Anas aussetzen musste.

Danach durften wir Rehberge testen. Was nicht besonders schwer war, da mein Gegner sich in der Eröffnung bereits von einer Figur trenne musste und auch Micha relativ schnell gewann. Den fehlenden halben Punkt steuerte dann Patrick gegen Thomas Heuer bei, der auch bei anderer Grundestellung anscheinend gerne den Punkt teilte. Auch Matthias schaffte ein Remis, wie es dazu kam weiß ich aber nicht.

Als ich fertig war, stand es bei der Zweiten bereits null-zu-drei. Nur Anas kämpfte noch mit einem ganzen Sack Figuren auf dem Brett mit wenigen Sekunden auf der Uhr. Irgendwann war der Gegner dann jedoch matt (wie weiß ich nicht) und Anas konnte verdientermaßen den ganzen Punkt einstreichen.

In der letzten Runde wartete Zugzwang auf unsere Erste, ein unentschieden reichte. Die hatten den einzigen Spieler neben mir mit weißer Weste, martin Gebigke, der an Brett vier gemeldet war. Statt des "Showdowns" rutschte er jedoch auf und nahm Patrick auseinander. ich gewann mit einer ganz netten Kombination (die Applaus bei Winni, Oli und anderen hervorrief). Micha stand unterdessen grauenhaft une Matthias hatte ein gutes Endspiel, das jedoch nicht trivial gewonnen war. Das kam es uns gerade recht, dass dem Zugzwang-Gastspieler IM Cliff Wichmann aus Dresden gegen Michael ein Einsteller unterlief und auch Matthias das Endspiel sehenswert abtragen konnte.

Wir feierten uns als Sieger, doch bei der Siegerehrung kam es zu einer Überraschung. Mit 4/4 am vierten Brett ging der Brettpreis dennoch an Martin Gebigke, der nach einer ominösen Wertung vorne lag. Er ist übrigens ein netter Kerl, ich habe nachher mit ihm noch geblitzt und Tandem gespielt. Dabei gab er mir das ein-oder-andere Bier aus, sodass wir auch finanziell quit sein dürften...

Über den Brettpreis für das erste Brett durfte sich Michael Schulz freuen, ein gelungener Abschluss für ihn und unsere Mannschaft. Nach dem Siegerfoto blieb noch die Feststellung, dass erfreulicherweise nur einer unserer Spieler ohne Punkt nach hause gehen musste. Wer das war, verrate ich aber nicht.  

Also, nach dem bisher größten erfolg meiner Karriere werden wir doch hoffentlich nicht zurücktreten, sonder nach höherem ringen - vielleicht den Aufstieg in Oberliga oder so... aber jetzt Schluss mit euphorischem Träumen.

Denn eine Fußballweisheit (ja, ohne geht halt doch nicht) sollte man sich vor Augen führen: Das nächste Spiel ich doch immer das schwerste.

In diesem hoffen wir, dass wir das schwerste Spiel gewinnen werden!

Carsten Schirrmacher